Lexikon
Pathetischer Realismus

Unter dem Begriff des "Pathetischen Realismus" wird eine Richtung des "Ersten Neoexpressionismus" der 1960er Jahre in Deutschland bezeichnet, die als Reaktion auf die vorherrschende informelle Abstraktion zu verstehen ist.
Geprägt wurde der Pathetische Realismus durch zwei Künstlerpersönlichkeiten: den jungen Georg Baselitz (eigentlich Hans-Georg Kern, geb. 1938) und Eugen Schönebeck (geb. 1936).
Die Zielsetzung des Pathetischen Realismus wurde im programmatischen und manifestartigen "1. Pandämonium" fixiert, einem beschwörenden Plakattext, der 1961 eine Ausstellung beider Künstler in einem Abbruchhaus in Berlin begleitete. 1962 folgte das "2. Pandämonium".
Schon sprachlich offenbarte sich in den "Pandämonien" jene visionäre, pathosgeladene Expressivität, die auch der Kunst des Pathetischen Realismus zu eigen sein sollte. An die Stelle einer im Formalismus erstarrenden abstrakten Kunst sollte eine neue figürliche Malerei treten, deren Charakter sinnlicher, subjektiver, expressiver und existenzieller als jener der Abstraktion sein müsse.
Die kraftvoll-malerisch aufgefasste, gebärdenreiche und oft düstere Kunst des Pathetischen Realismus, die sich häufig provokativen, sexualisierten und körperbezogenen Themen in einer fleischlich-teigig anmutenden Bildsprache und impulsivem Duktus widmete, wirkte vorbereitend für die große Welle des Neoexpressionismus in den 1980er Jahren. Anregungen nicht nur des Expressionismus, sondern auch der "Art Brut" der Geisteskranken und der Texte Antonin Artauds begünstigten die Entstehung des Pathetischen Realismus.
Mit dem Begriff des Pathetischen Realismus werden ferner jene expressiv-figurativ arbeitenden Künstler in Verbindung gebracht, die ab der Mitte der 1960er Jahre in der Berliner Galerie "Großgörschen 35" ihre Werke zeigten, etwa Bernd Koberling (geb. 1938), Karl Horst Hödicke (geb. 1938) und Markus Lüpertz (geb. 1941).