Lexikon
Darmstädter Jugendstil

Nach München war Darmstadt das zweite Zentrum des Jugendstils in Deutschland. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, ein Enkel der englischen Königin Victoria, prägte mit seiner kosmopolitischen Haltung die Entwicklung der Kunst in der Stadt. Inspiriert durch das "Arts and Crafts Movement" konzipierte er die Darmstädter Künstlerkolonie zur Förderung des Kunsthandwerks. Für die Verwirklichung dieses Projekts suchte er 1899 sieben junge Künstler, die sich zu einer dreijährigen Tätigkeit in Hessen verpflichteten. Der ehemalige Park des Großherzogs, die Mathildenhöhe, war für die Kolonie bestimmt, wobei Wohnhäuser für die Künstler und ein Atelier entstehen sollten.
Die leitende Idee, die der Künstlerkolonie zugrunde lag, war die des Gesamtkunstwerkes. Nicht nur die Innen- und Außenarchitektur, sondern auch die Katalogbroschüren, die Werbeplakate und die organisierten Veranstaltungen waren einem einheitlichen Konzept untergeordnet, das vom Stil zweier großer Künstlerpersönlichkeiten des Jugendstils, Joseph Maria Olbrich (1867-1908) und Peter Behrens (1868-1940), geprägt war.
Die meisten Bauten stammten von dem Österreicher Olbrich, der sich bereits durch das Ausstellungsgebäude der Wiener Secession einen Namen gemacht hatte und der Lieblingskünstler des Großherzogs war. Sein Hauptwerk auf der Mathildenhöhe ist das Eingangsportal zum Atelier, dem Ernst-Ludwig-Haus. Die Symmetrie und Feingliederung der geometrischen Dekoration des Portals sind typische Merkmale des Wiener Jugendstils. Nur wird die harmonische Eleganz des Werkes durch die massiven, "Mann" und "Weib" darstellenden Skulpturen von Ludwig Habich etwas beeinträchtigt.
Der Stil des Hamburgers Peter Behrens unterscheidet sich sehr von Olbrichs feiner Leichtigkeit. Seine soliden Gebäude wirken streng und ernst, wobei die äußere Schlichtheit mit dem prachtvollen Inneren kontrastiert. Sein von ihm entworfenes Wohnhaus auf der Mathildenhöhe verkörpert diese Ideale, die er mit Nietzsches "Zarathustra" verband. In Darmstadt blieb Behrens vier Jahre und entwarf hauptsächlich Möbel, Textilien und Theaterausstattungen.
Zur Gruppe der "Ersten Sieben" gehörten weiter Hans Christiansen, der stark vom Pariser "Art Nouveau" beeinflusst war, der Bildhauer Ludwig Habich, Patriz Huber, der sich vor allem mit Schmuckstücken befasste, Paul Bürck und Rudolf Bosselt. In der Folge wurden weitere Künstler berufen, bis sich die Kolonie 1914 auflöste.